Jonas Monka

Christina Irrgang

zu A00119


Erste Benennung – augenscheinliche Ebene:


Der Blick durch das große, sich als Nische unter dem Straßenverkehr zurückziehende Schaufenster wird von einem phallisch geformten Objektkörper angezogen und in den Raum geleitet. Die dort platzierte, amorphe, nahezu menschengroße Skulptur aus weiß lackiertem Ton, zweierlei pastellfarbenem Bauschaum und Metalldrähten ruht bodennah auf einem durch Rollen bewegbaren Sockel. Dieses Objekt ist dazu befähigt, potenziell den Standort zu wechseln – doch ist es dafür immer auch angewiesen auf den definierten Impuls eines spezifischen Akteurs, der den neuen Ort durch eine im Vorhinein festgelegte Wahl bestimmt. Der Körper des Objekts ist in seiner Textur und Positionierung fahrig, nie autonom, obgleich er durch Statik und Form das Gegenteilige postuliert. Er ist mobil, doch abhängig von der Bewegung des Performers, der ihn berührt, ihm eine andere Konfiguration zuweist und dadurch seine Bezugnahme zum Umliegenden umschreibt. Dabei erlaubt die Handlung des Performers dem Objekt zugleich eine wechselnde Ansicht und Absicht.

In Beziehung steht der Objektkörper hier in diesem Raum zunächst zu einer zellartigen Struktur: Ein weiß lackierter, hexagonaler Korpus, dessen Kanten zum Teil harmonisch angeschrägt sowie abgerundet und dessen glatte Flächen beidseitig mit pastellfarbener Sprühfarbe in unterschiedlichen Nuancen versehen sind. Dieses Objekt ist in sich geschlossen und ruht auf unsichtbaren Stützen in einer statischen Position. Es wirkt nahezu unnahbar. Anders verhält es sich mit den blau pigmentierten Tonobjekten, die nicht durch das Schaufenster sichtbar sind, sondern in einem den Blicken entzogenen, hinteren Bereich des Ausstellungsraumes am Boden angeordnet sind. Sie sind in ihrer Vielfalt autonom, ihr Standpunkt ist definiert, da er durch sie selbst eingenommen wird. Während die Textur des beweglichen Objekts aus dem Vorderraum – das auch in diesen Raum durch einen externalisierten Handlungsablauf bewegt werden kann – durch Hohlräume, Fingerabdrücke und Öffnungen zerklüftet ist, weisen die blau gefärbten Tonkörper nur ganz subtile Abdrücke auf: Die Spuren einer Vulva.


Zweite Benennung – diskursives Handhaben:

Die Oberfläche des amorphen Objektes ist austauschbar, sagt Katharina. Sie habe den Körper für die Ausstellung A00119 ein zweites Mal "angezogen" (ähnlich, wie auch der Performer einen von ihr gestalteten Pullover übergezogen hat, während er agiert). Es sei noch der Kern des Objektes, welches sie vor einigen Jahren im Wewerka-Pavillon in Münster präsentierte. Da war die Oberfläche aus weiß lackiertem Ton glatter, in sich geschlossener, vielleicht auch geschützter – doch bildeten sich damals wie auch nun im Verlauf der Zeit leichte Risse in der homogenen Beschaffenheit der Materie, der Glasur. An dieses Objekt und die Transformation des Körpers erinnert bei A00119 eine Fotografie: Die Ansicht dieses Ausstellungsmoments im Wewerka-Pavillon, die nun für Bruch & Dallas als Edition angeboten wird und die im Rahmen des performativen Aktes punktuell – wie ein Artefakt oder Déjà-Vu – aufscheint. Die Form des Sechsecks der zellartigen Skulptur wiederum referiert auf den konkreten Ort. Siehst du diese Säulen, sagt sie, die innerhalb des Ausstellungsraumes, aber auch in ihrer Fortführung aus dem Souterrain des Ebertplatzes emporwachsen, und die sich in ihrer Struktur sogar in diesem dort an den Platz angrenzenden Hochhaus wiederfindet? Diese Skulptur ist in ihrer Konzeption jener Grundform entlehnt, wiederholt sie – jedoch abgelöst eigenständig.

Die blauen Tonobjekte wiederum sind Ablösungen von der Haut, vom eigenen Körper, vom Geschlechterdiskurs, von sexueller Zuordnung – clay fucking – und lassen Katharinas Geste der Abdrücke einer Vulva zurückführen zu Monica Bonvicinis selbstbestimmtem "Wallfuckin'" (1995/96) wie auch zu Yves Kleins Anthropometrien, für die Klein ab den späten 1950er-Jahren ausschließlich Frauen dazu angeleitet hat, Abdrücke ihrer mit blauer Farbe bemalten Körper zu hinterlassen und vorzulegen. Jetzt geht es um Ungebundenheit. Wir wollten bei dieser Gelegenheit im Bruch & Dallas noch über Objektbezogenheit, die Anerkennung von Objektophilie in der Gesellschaft und über Schlangenhäutung als Transformationsprozess sprechen. Es braucht den Dialog, um ein Selbst zu sein, legt Michail Bachtin nahe: "Alles ist Mittel, der Dialog allein ist das Ziel. Eine einzelne Stimme beendet nichts und entscheidet nichts. Zwei Stimmen sind das Minimum des Lebens, das Minimum des Seins."* Ein fiktives Interview steht im Raum.


*Vgl. Bachtin, Michail: Probleme der Poetik Dostoevskijs, München 1971, S. 285, zitiert aus: Maximowitsch, Peter: Das philosophische Narrativ Leo Schestows, unveröffentlichte Dissertation, Heidelberg 2019, S. 82.